Dezember 2015

Die Volkskiste

von Kuno Seitz und Johann Klöpper [Tinnunculus 41/2015]

 

Präludium: Die Geburt der Habichtskiste aus dem Geist der Musik

 

Im Russischen gibt es die Menschen mit „goldenen Händen“ (zolotye ruki), das sind solche, denen handwerklich alles gelingt und flott von der Hand geht. Ich gehöre nicht dazu. Trotzdem oder gerade deswegen reizt mich immer wieder die Herausforderung, mit meiner Hände Arbeit etwas Konkretes zu erschaffen. Ich weiß nicht warum, aber die Habichtskiste ist für mich zu einer Obsession geworden. Sitze ich im Konzert oder in der Oper schweifen meine Gedanken unwillkürlich zum Bau der Kiste. Während z. B. bei Wagners Tannhäuser sich die Gedanken der Frauen und Männer um mich herum zum Erhabenen emporschwingen oder gar im Nirwana auflösen, treiben mich unwillkürlich Baupläne für eine ultimative Transportkiste um. Man mag das als trivial abtun, ich sehe mich aber hier in der Nachfolge des großen deutschen Romantikers Novalis: „Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, romantisiere ich es." Dieses Zitat ist in Bezug auf die Transportkiste selbsterklärend, daher verzichte ich auf eine Erläuterung.

 

Während die Geigen schluchzen und korpulente Sopranistinnen ihr Bestes geben, dreht sich in meinem Kopf alles um Winkel, Schrauben, Stifte, Stichsägen und Akkuschrauber. Vor meinem geistigen Auge entsteht das Ideal der leicht zu reinigenden, platzsparend zusammenklappbaren Ziehharmonika-Kiste. Obwohl ein großartiger, um nicht zu sagen genialer Einfall den anderen jagt, ist mir dieser große Wurf allerdings noch nicht gelungen, da mir zum Ende der Veranstaltung die Erinnerung geschwunden ist oder sich bei der Ausführung praktische Hemmnisse entgegenstellen. Immerhin habe ich nach dem Besuch von „Hoffmanns Erzählungen“ die Duett-Kiste geschaffen, bei der die Bodenplatte mitsamt der Sitzgelegenheit in eine Holzschiene eingeschoben war und sich zur Reinigung herausnehmen ließ. Leider aber quollen und platzten die beschichteten Spanplatten beim Reinigen mit Wasser auf, sodass das Ganze in recht kurzer Zeit unansehnlich war und auch nicht mehr richtig funktionierte.

Dieser Misserfolg brachte mich dazu, mich mit kleineren Brötchen zufriedenzugeben. Bei meinem Falknerfreund Lothar Wenzel sah ich eine Kiste aus Kunststoff, die mich sofort begeisterte. „Lebensmittelecht und mit dem Kärcher zu reinigen,“ versicherte mir Lothar stolz. Ich ließ mir den Bau erklären.

 

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