Beize mit Kontrastprogramm oder ein Spiegel unserer Gesellschaft

 

Billerbeck ist vielen DFO-Mitgliedern durch die internationale Falkner-Tagung 2008 bekannt. Alle Teilnehmer werden sich sicher daran erinnern, wie freundlich wir auch von der nichtjagenden Bevölkerung aufgenommen wurden und welchen großen Zuspruch insbesondere die Falkner erhielten. Man denke nur daran, wie überfüllt der Billerbecker Dom bei der Hubertusmesse war. So viele „Kirchgänger“ hatte die Probsteikirche lange nicht gesehen.

 

Seit fast vierzig Jahren fliege ich Habichte auf den befriedeten Flächen der Stadt Billerbeck. In einem Auengebiet, das von Wohngebieten hufeisenförmig umschlossen wird und an zwei Schulkomplexe und einen Kindergarten grenzt, gehe ich relativ häufig mit dem Habicht beizen. Da dort die Wege gut ausgebaut sind, werden sie von vielen Fußgängern, oft mit ihren Hunden, und von Fahrradfahrern genutzt.

 

So ist es nicht verwunderlich, dass mich immer wieder Erwachsene und häufig auch Kinder ansprechen. Insbesondere Eltern mit kleineren Kindern kommen oft bewusst mit ihren Zöglingen auf mich zu, um den „Adler“, der natürlich ein Habicht ist, aus nächster Nähe zu sehen. Dabei kann ich immer wieder beobachten, dass die Eltern viel interessierter bzw. faszinierter sind als die Kinder, die manchmal regelrecht erst auf den Vogel hingewiesen werden müssen.

 

Am Ende eines Beiztages lasse ich in der Regel unsere Hunde, wenn wir zum Auto zurückkehren, die gebeizten Kaninchen apportieren. Dies ist natürlich etwas provokant für Nichtjäger und gegenüber den Frauen, die ihre Zöglinge vom Kindergarten abholen. Doch das Zusammentreffen ist häufig ein Anlass, ins Gespräch zu kommen und ein paar erläuternde Worte über die Falknerei „los zu werden“. In all den vielen Jahren schwankte die Resonanz zwischen Indifferenz und Begeisterung, wobei letztere bei weitem überwog. Ich habe nie ernsthafte Kritik erlebt, wenn auch mal das eine oder andere bedauernde Wort über das „arme“ Kaninchen fiel, aber bei gleichzeitigem Verständnis dafür, dass das Töten des Kaninchens durch den Habicht doch etwas ganz Natürliches sei. So habe ich nicht nur einmal gehört, wenn die Kinder sich fragend an die Mutter wandten: „Das hat der liebe Gott so gemacht“.

 

 

Doch dann, an einem einzigen Tag, hatte ich plötzlich zwei Erlebnisse, die konträrer nicht hätten sein können.

Am Rande der Aue neben einem kleinen, verschilften Teich schließt sich ein mehr oder weniger gepflegtes Rasenstück an, auf dem drei äußerst simple Spielgeräte stehen. Dieser Mini-Spielplatz ist nicht besonders abgegrenzt, und wenn nicht ein kleiner Hügel, auf dem eine Rutsche angebracht ist, vorhanden wäre, würde man das Rohrgestänge einfach übersehen, zumal der Übergang vom langen, ungepflegten Grün zu dem mehr oder weniger kurzgehaltenen Rasen, auf dem die Geräte stehen, fließend ist. Während der Beizsaison im Herbst und Winter habe ich dort noch nie Kinder spielen gesehen. Verständlich, denn der Platz ist auch nicht besonders attraktiv.

 

Wie auch immer. An diesem speziellen Tag - ich war mit Kai Schmid unterwegs, der mich seit ein paar Jahren falknerisch unterstützt - machen die Hunde ein Kaninchen am Rande des Tümpels hoch, das in Richtung Minispielplatz flüchtet. Mein Habicht Fency ist sofort von der Faust und schlägt das Kaninchen, nachdem es den „Spielplatz“ überquert hat, kurz vor einer Bretterwand. Beide rutschen noch halb unter ihr hindurch, bevor der Habicht es festhalten kann. Als es kurz reflektorisch klagt, höre ich Sekunden später hinter dem Zaum aufgeregte Stimmen, die aber nicht dem Habicht mit dem Kaninchen galten, sondern unseren Hunden, die in den Garten, der hinter den Zaun lag, gelaufen waren. Doch als die Besitzer mich erkennen, schwindet die Aufregung und sie freuen sich über den Beuteerfolg des Habichts. Es ist nicht die Freude, die wir mit dem Erlebnis verbinden, sondern es ist die etwas feindselige Genugtuung, dass hier ein „Schädling“, der ihr Gemüse und Blumen gefressen hat, getötet wurde. Eine Reaktion, die ich häufig in den Stadtrandgebieten und insbesondere auf Friedhöfen erfahre.

Ich ziehe beide unter den Brettern hervor und töte das Kaninchen.

 

Wenige Meter von der Eingrenzung entfernt lasse ich den Habicht dann auf seiner Beute stehen. Während des Jagdfluges muss der Habicht an zwei Kindern – ca. 5 bis 7 Jahre alt -, die am Rande des Spielplatz mit ihrer Mutter standen, und die wir gar nicht bemerkt hatten, vorbeigeflogen sein, bevor er das Kaninchen band. Inwieweit diese den Flug überhaupt mitbekommen haben (wahrscheinlich nicht), kann ich nicht sagen, zu sehen war nur, dass die Kleinen keinerlei Reaktionen zeigten, als ich den Habicht mit dem Kaninchen ins Freie trage. Aber ich hatte nicht mit der auch anwesenden Mutter gerechnet. Sie musste uns wohl beobachtet haben. Und als der Habicht nun auf dem Kaninchen stand – sie war ca. 10 m von beiden entfernt – kam sie auf mich zu und sagte in einem relativ harschen, ja aggressiven Ton: „Nehmen Sie den Habicht da weg, sofort!“. Als ich darauf hin versuchte, ihr ganz ruhig und auch verständnisvoll zu erläutern, was geschehen sei und warum der Habicht jetzt dort sitze, ging sie erst gar nicht auf mein Erklärungen ein, sondern wiederholte ihre Forderung stakkatomäßig mehrmals. Und als ich keine Anstalten machte, den Habicht fortzunehmen, schob sie nach, dass sie dies wegen ihrer Kinder umgehend verlange, die sich aber überhaupt nicht um den Habicht mit dem Kaninchen kümmerten.

 

 

Ich unternehme einen erneuten, verbalen Vorstoß, während ich auf den mantelnden Habicht zugehe, um mein Einlenken, den Habicht aufzunehmen, zu signalisieren. Als ich darauf hinweise, dass ihre Kleinen augenscheinlich keinerlei Interesse an dem bzw. keinerlei Reaktion auf den Habicht mit dem toten Kaninchen zeigten, noch nicht einmal dort hinsähen, sondern nur zu ihrer Mutter und zu uns, sagte sie: „Meine Kinder sind so intelligent und aufgeweckt, dass sie auch so alles mitbekommen, auch wenn sie es nicht zeigen oder sagen“, und fuhr dann fort, dass sie eben eine Mutter sei, die ihren Kindern Respekt und Achtung vor der Kreatur und Umwelt beizubringen versuchte – was ja an sich nicht schlecht ist - und der Anblick des Habichts auf dem getöteten Kaninchen entspreche eben nicht diesem Weltbild bzw. ihren Erziehungszielen.

 

Vorsichtig versuchte ich ihr klar zu machen, dass es verständlicher Weise heutzutage oft ein Problem für viele Menschen sei, insbesondere Menschen aus der Stadt, die Natur nicht so zu sehen, wie sie ist, sondern dass sie anthropomorphe Vorstellungen von ihr besäßen, da häufig der direkten Bezug vom Leben und Wachsen, passivem Sterben und aktivem Töten nicht mehr konkret erlebt würde. Verstädterte Menschen blendeten das Fressen und Gefressen werden und die damit verbundenen Tötungsvorgänge einfach aus. Sie unterbrach mich noch einmal, und sagte, dass das, was ich sagte, sie überhaupt nicht interessiere, sie habe ihre Meinung und davon lasse sie sich nicht abbringen.

 

Und dann machte ich einen Fehler als ich bei dem nun einseitigen Gespräch auf die Bedeutung des „Wie“ während des Aufwachsens bzw. Großwerdens von Kindern zu sprechen kam und unglücklicher Weise den Begriff „Erziehung“ einfließen ließ. Er war in diesem Zusammenhang auch unpassend, denn ich wollte eigentlich nur sagen, dass es für Kinder entscheidend sei, wie sie an derartige Dinge, wie sie sie jetzt erlebt hatten, herangeführt werden.

 

Dadurch war die Konfrontation perfekt: „Wie ich meine Kinder erziehe, das lassen Sie mal meine Sorge sein“. Recht hatte sie! Ich hätte umgekehrt wahrscheinlich auch so reagiert. Aber damit war natürlich der Dialog beendet und ein Konsens nicht mehr möglich. 

 

Der Habicht war inzwischen sehr entspannt und wartete darauf, endlich vom Kaninchen beireiten zu dürfen. Unversöhnlich schieden wir voneinander. Da hatte ich keinen Sympathisanten der Falknerei zurückgelassen.

 

Eine Dreiviertelstunde später, nur wenige hundert Meter vom Spielplatz entfernt, bejagten wir eine renaturierte Auenwiese neben der Billerbecker Realschule. Die Wiese liegt etwas tiefer als die sie umlaufenden Wege. Es war Schulschluss und mehrere Schüler, teils mit ihren Müttern, nahmen den Weg entlang der Senke. Mir war aufgefallen, dass eine Mutter mit zwei Jungen (11 und 12 Jahre alt, wie wir später erfahren sollten) uns die ganze Zeit sehr „interessiert“ beobachtete. Sensibilisiert durch den vorangegangenen Vorfall, schaute ich hin und wieder zu ihnen, mit den Gedanken an die möglichen Folgen eines Beizerfolges direkt vor den Augen der „Zuschauer“. Ich hoffte sogar unterschwellig, dass wir kein Wild in dieser Situation finden würden, denn: „Jetzt noch einmal denselben Ärger und dann coram publico, das hätte uns heute gerade noch gefehlt“.

 

Obgleich wir nach einer guten Viertelstunde noch kein Wild gefunden hatten, harrten die Zaungäste dennoch aus und schaute unentwegt zu uns herüber.

 

Und es kam, wie es kommen musste: Barusz steht mit hoher Nase vor. Vorsichtig näherte ich mich ihm, denn nach seiner Haltung vermutete ich einen Fasan. Aus dem langen, trockenen Gras vor ihm konnte ich aber nichts hochmachen. Da Barusz eine sensible Nase hat, steht er immer wieder „frische“ Sassen vor. Und das schien auch hier der Fall zu sein. Wir wollten uns schon entfernen, als Kai vor Barosz, mehr oder wenige zufällig, einen Hasen hochmacht. Fency, unglaublich schnell, bindet ihn nach wenigen Metern. Der Hase „klagt“ natürlich, und jeder Falkner kennt das „Klangbild“ dieses Lautes und weiß, wie weit es zu hören ist. „Auch das noch!“, denke ich.

 

 

Mehr fallend als laufend kann ich den Hasen greifen und abfangen. Noch während ich knie, höre ich die Mutter, die uns beobachtet hatte, rufen: “Kann ich helfen?“ Sie hatte mich aus ihrer Sicht stürzen gesehen, und mein „Liegenbleiben“ hatte sie wohl in der Annahme bestärkt, dort helfen zu müssen. Etwas frustriert von der vorherigen Begegnung rufe ich provozierend zurück: “Ja natürlich, zum Töten!“. „O. k.“ ruft sie prompt „ich komme“. Ich bin überrascht, damit hatten wir nicht gerechnet.

 

Ich saß noch am Boden neben dem Hasen, als die Frau mit ihren Kindern uns erreichte. Das aus der Wunde ausgetretene hellrot leuchtende Blut des Hasen, hob sich äußerst kontrastreich von dem blendend weißen Fell der Unterseite ab. Nicht unbedingt für Jedermann ein „schöner“ Anblick.

 

Noch bevor ich etwas sagen konnte, begann sie das Gespräch. Es kam kein Kommentar zu dem Anblick des Hasen oder dessen Tod, sondern sie erzählte sofort, dass sie so etwas kenne – sie deutete auf den toten Hasen – und dass sie ihrem Großvater früher beim Abziehen von Kaninchen zugesehen und später selbst Stallhasen „das Fell über die Ohren“ gezogen habe. Falknerei fände sie faszinierend und habe sie immer schon interessiert, wenngleich sie sie bisher leider nur im Fernsehen gesehen habe. Und dann kam die zweite Überraschung für mich. Als sie den Hasen betrachtet, sagte sie, dass der Hase bis zu seinem Tod doch glücklich und artgerecht gelebt habe (das hätte auch von mir kommen können), nicht aus der Massentierhaltung stamme und dass sie das alles hier ganz „toll“ fände. Dazu muss man wissen, dass in den Bauernschaften um Billerbeck große Mastställe für Hähnchen und Schweine gebaut werden und Bürgerinitiativen dagegen aktiv sind, sodass die Probleme der Massentierhaltung vor Ort im Bewusstsein der Bevölkerung weit verbreitet sind. Aus diesem Grund wahrscheinlich auch die Bemerkung der Frau.

 

Von den Junges kam auch nicht das oft obligatorische „iiiiiii“ vieler Jugendlicher, wenn sie so etwas sehen oder irgendein anderer Ausdruck des Abscheus oder Missfallens. Sie schauten sich den getöteten Hasen wie etwas ganz Selbstverständliches, ganz Natürliches an. Als einige Klassenkameraden weit entfernt vorbei kamen, rief ein Sohn der Frau zu ihnen herüber: “Wir sehen was, was ihr nicht seht“. Die Klassenkameraden kamen dann natürlich neugierig angelaufen und betrachteten den blutigen Hasen. Sie waren zwar etwas überrascht, hier einen toten Hasen zu sehen, aber das war auch alles. Ich war erstaunt, wie wertfrei sie dieses getötete Tier betrachteten. Natürlich wollten sie wissen, warum der Hase hier lag. Und als ihnen der ältere Sohn der Frau erklärte, dass der Hase von dem Habicht, der mittlerweile wieder auf dem Handschuh stand, gefangen worden sei, fanden sie es einfach nur „cool“. Dann schweifte aber ihr Interesse ab, und die Schüler sprachen über andere Themen.

 

Während ich den Habicht auf der Faust aufatzte, unterhielten wir uns noch etwas über die Falknerei. Natürlich erzählte ich auch von dem vorhergegangenen Erlebnis, wodurch wir auf das Thema Stadtgesellschaft / Landgesellschaft und unsere eigene Jugend auf dem Lande etc. etc. kamen. Als der Habicht dann trotz größter Mühen das letzte Taubenbein nicht mehr herunterschlucken konnte, verabschiedeten wir uns. 

 

Glücklicher Weise habe ich einen Zeugen für diesen Tag, Kai Schmid; denn es liegt doch der Verdacht nahe, dass diese Erlebnisse konstruiert seien, zumal sie als Metapher unserer momentanen gesellschaftlichen Situation äußerst geeignet sind. Eine entsprechend fiktive Geschichte könnte natürlich auch ein Vehikel zur Veranschaulichung der momentanen, tierschutzpolitischen Situation sein, mit der die Falknerei konfrontiert ist; doch der Stellenwert eines wirklichen Erlebnisses, das auf seinen Wahrheitsgehalt überprüfbar ist, hat natürlich einen ganz anderen Bestätigungscharakter für zwei momentan zu beobachtende, gesellschaftliche Strömungen, die letztlich mit der Naturentfremdung vieler Menschen zu haben. Wir leben in einer Luxusgesellschaft, die sich auf Grund des Nahrungsüberflusses „Vegetarier“ und „Veganer“ leisten kann, die dann z. T. als Sentimental-Aktivisten einer Moral-Hypertrophie frönen, die immer größeren Einfluss in Gesellschaft und bestimmten politischen Kreisen bekommen.

 

Während ich dieses gerade schreibe bekomme ich, wie zur Bestätigung der o. g. Ausführungen, die „Münstersche Zeitung“ vom 8.02.2013 hereingereicht mit dem Leitartikel auf der ersten Seite: „Kinder verlieren Naturbezug“ steht dort in dicken Lettern.  Was das langfristig für die Falknerei bedeutet, mag ich mir nicht ausdenken.

 

Walter Bednarek, LV Nordrhein-Westfalen

 

   

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