Das gemeine Rothuhn

 

 

Klasse:      Vögel (Aves)
Ordnung:   Hühnervögel (Galliformes)
Familie:      Fasanenartige (Phasianidae)
Gattung:     Steinhühner (Alectoris)
Art:             Rothuhn Alectoris rufa (LINNAEUS, 1758)

Vorwort
Das gemeine Rothuhn (gemein hier im Wortsinn von gewöhnlich, häufig vorkommend) ist (laut Wikipedia-Zitat)
„heute auf der Iberischen Halbinsel, im südlichen Frankreich und im nordwestlichen Italien zu finden. In Frankreich ist die Verbreitung nach Norden durch die 8°C-März-Isotherme und in östlicher Verbreitungsrichtung durch die 2°C-Januar-Isotherme begrenzt. Eingebürgert wurde es außerdem auf den Azoren, Gran Canaria, Madeira, den Balearen und Korsika. In Großbritannien wurde das Rothuhn um 1770 ausgewildert und ist seither in Süd- und Mittelengland ein geschätztes Jagdwild.

 

Nachdem auch Chukarhühner dort ausgesetzt wurden, kam es jedoch zu einer Hybridisierung mit den dort lebenden Rothuhnbeständen. In Großbritannien ist seit September 1992 daher die Aussetzung von Chukarhühnern und Mischlingen zwischen Rot- und Chukarhühnern verboten. Bis ins 16. Jahrhundert war das Rothuhn auch im Rhein-, Aar- und Neckartal zu finden. Es verschwand um 1560, als eine Klimaverschlechterung einsetzte. In Bayern hielten sich letzte Vorkommen bis ins 18. Jahrhundert, in der Schweiz im Kanton Jura bis ins 19. Jahrhundert. Die letzten mitteleuropäischen Brutvorkommen gab es im Süden der Schweiz, die jedoch bis 1920 erloschen. Es hat in Mitteleuropa eine Reihe von Ansiedlungsversuchen gegeben, die zum größten Teil jedoch scheiterten. So sind neu etablierte Brutbestände in den Niederlanden, die in den 1980er Jahren 25 bis 30 Brutpaare umfassten, wieder erloschen. Zwischen 1998 und 2000 sind jedoch erneut im Süden der Niederlande drei bis zehn Brutpaare etabliert worden, ferner gab es einzelne Bruten in den 1990er Jahren in Nordrhein-Westfalen sowie eine Brut in Bayern im Jahr 2000. Innerhalb seines Verbreitungsgebietes werden drei Unterarten unterschieden. Das Rothuhn kommt in seinem südlichen Verbreitungsgebiet bis in Höhenlagen von 2000 Metern vor, bevorzugt jedoch als Lebensraum ebenes bis welliges Gelände auf leichten Böden.“

 

Weitere Exkurse über das gemeine Rothuhn speziell hinsichtlich seiner Gefährdung durch Hybridisierung, über nomenklatorische Konsequenzen der molekularen Neuordnung der Systematik der Hühnervögel und der sequenzanalytischen Reform der Genuszugehörigkeit der Alectoriden, möchte der Verfasser dem gemeinen Leser (gemein: hier im Wortsinn von gewöhnlich, normal) ersparen. Die letzten Jahrbücher waren voll von hochwissenschaftlichen Publikationen schwer verdaulichen Inhaltes. Nein, nicht dieses gemeine  Rothuhn soll Thema der folgenden Schilderungen sein, sondern das gemeine Rothuhn im Wortsinn von charakterlos, selbstsüchtig, heimtückisch und verschlagen, insbesondere weil sich seine ehrlosen Handlungen und üble Gesinnung dem arglosen Falkner gegenüber äußern.



Ein langer Weg
Der Verfasser widmete sich der Falknerei von Kindesbeinen an. Er spielte im zarten Alter von 12 Jahren mit ausgehorsteten Turmfalken und Mäusebussarden (hoffentlich verjährt!), bekam seinen ersten Wildfanghabichtsterzel mit glutroten Augen im Alter von 14 Jahren. Dieser Vogel wurde gemäß der seinerzeit maßgeblichen Falknereiliteratur über sechs Wochen Tag und Nacht getragen und flog zum Dank am ersten Tag, an dem er ohne Lockschnur zur Faust beireiten sollte, einfach weg. Um eine lange Geschichte kurz zu machen: es folgten ein Habicht, der sehr ordentlich viele Jahre auf Kaninchen, Krähen und Möwen flog, danach Sperber, sowie Merline und sodann zwei fantastische Wanderfalken, die nach Aussagen Dritter über sieben Jahre zusammen mit den Falken von Bernd Böer seinerzeit in Deutschland Maßstäbe für die Krähenbeize setzten. Dank an dieser Stelle unserem damaligen Mentor Uwe Beyerbach!


In fortgeschrittenem Alter von 35 Jahren und als damals leidenschaftlicher Reval-Raucher wurde das Krähenbeizen und das damit verbundene Rennen über die grobgepflügte Scholle zunehmend eine Herausforderung für Herz und Lunge. Zudem verbrachte man die meiste Zeit im Auto, riß in einer Mittagspause von drei Stunden mal eben 200 Kilometer ab, zerlegte drei Autos im Feld und kam letztlich pro Krähe auf eine investierte Summe von damals 50.- DM. Bei einer Jahresstrecke von 170 Kreaturen ein stolzes Sümmchen.

 

Eine Landesbeize in Niedersachsen gab den Anstoß für den Aufbruch zu neuen Ufern. Eckart Schormair flog seinen Wanderfalkenterzel im letzten Licht. Der Falke stieg ringholend in eine ordentliche Höhe, die Hühner wurden gehoben, der Falke stieß herab, schwang sich ein, band das Huhn und nickte es ab. Toll! Mein Kommentar: „Eckart, das mache ich jetzt auch!“ Unser damaliger Präsident schaute mich etwas mitleidig an und retournierte: „Das ist nicht so einfach; bleib Du mal bei Deinen Krähen!“ Dazu muss man wissen, dass seinerzeit gute Anwarter in Deutschland sehr dünn gesät waren. Neben Christian Saar, dem unbestrittenen und allgemein bewunderten Star, gab es nicht mehr als eine Handvoll guter Anwartefalkner in Deutschland und bei einigen allerdings auch den Dünkel, etwas Besseres zu sein als der gemeine Habichtler (gemein: hier im Wortsinn von ordinär). Dieser erlauchte Kreis sollte nicht mit „newcomern“ und schon gar nicht mit dem „Diskofalkner“ gestört werden. Dieser Beiname wurde dem Verfasser von Puristen aus der Falknerszene verliehen, da er im täglichen Beizbetrieb Blue-Jeans, weiße Tennissocken und Turnschuhe dem jagdgrünen Beinkleid vorzog.

 

Aus grauer Vorzeit: „Diskofalkner“ mit Merlin.



Zu Beginn der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts gingen die Bestände des Rebhuhns in Deutschland dramatisch zurück, so daß ein regelmäßiges Beizen auf dieses Wild nur mit erheblichem Aufwand und Reisen durch das gesamte Bundesgebiet einigermaßen tolerierbar möglich war. Um wiederum eine lange Geschichte kurz zu machen: Es folgten einige Jahre der Anwartefalknerei auf Rebhühner in Deutschland und zwangsläufig das Kennenlernen von Günter Trommer und Franz Carton. Eines Tages berichteten die beiden von einer Reise nach Spanien, auf der sie das gemeine Rothuhn beizen wollten. Sie verbrachten dort fast drei Wochen in einem Revier mit sehr gutem Besatz und beizten mit ihren beiden Falken… ja genau: kein einziges Rothuhn. Gemein, nicht wahr?


Das war die Chance: Da konnte man zwei Fliegen mit drei Klappen schlagen. Erstens sich mal so richtig satt beizen und zweitens den beiden Freunden zeigen, wo Barthel den Most holt. Schließlich hatte man ja einen Anwarter, der sehr sicher Rebhühner schlug. So ging es erstmals auf nach Spanien, um das gemeine Rothuhn zu erlegen. Mit von der Partie eine erlesene Auswahl von Vorstehhunden (Deutsch-Kurzhaar und Pointer), sowie drei auf Rebhühner spezialisierte Anwartefalken: Zwei Wanderfalkenterzel und der legendäre „Sputnik“, ein weiblicher Rotnackenshahin von Günter Trommer. Das Fazit der ersten Saison in Spanien: nicht ein Rothuhn kam zur Strecke, obwohl die Falken gut flogen und mehrfach Hühner berührten, daß die Federn nur so flogen. Wir nannten dies „Kontakte“. Neidvolle Falkner aus der Heimat erkundigten sich mehrfach nach unserem Befinden und lachten sich schlapp, wenn wir stolz von unseren Kontakten sprachen.


Im Folgejahr ging es nicht viel besser. Der Verfasser brachte in drei Wochen mit vereinten Kräften eines Wanderfalkenterzels in Arbeitsteilung mit einem Gerfalkenterzel ein! gemeines Rothuhn zur Strecke. In diesem Sinne besonders gemein, weil sich dieses Tier bis zum Hals im Wasser eines verkrauteten Grabens versteckte, um sich dem legitimen Zugriff der Falken zu entziehen. Der Pointer fand dieses listige Huhn und apportierte es pflichtbewußt. Eigentlich hätte diese Beute nicht zählen dürfen, denn als ehrenhafte Falkner hatten wir vereinbart, daß nicht korrekt gebeizte Hühner nicht gelistet werden. Doch Günter Trommer versicherte mir, daß in 30 Jahren niemand danach fragen würde, wie dieses Huhn zur Strecke gekommen sei. Nach zwei Jahren totalen Frustes konnte ich mich mit dieser Sichtweise schnell anfreunden. Aus vormals „Kontakten“ wurde das erste gebeizte, besonders gemeine Rothuhn. Wie recht Günter doch hatte; mittlerweile sind 30 Jahre verstrichen und tatsächlich: niemand hat gefragt. Es folgten vier Saisons zusammen mit den Freunden in Granada, Medina Sidonia, Cordoba und Toledo und danach nur noch mit Franz und als sporadischem Gast „Adi“ Schreyer zehn Jahre in einem fantastischen Revier meines sehr guten Freundes Borja Saez de Montagut in der Nähe von Toledo.


1995 verschlug es den Verfasser nach Abu Dhabi in die Vereinigten Arabischen Emirate. Auf Jagden in Pakistan und Turkmenistan wurde die edle Kragentrappe gebeizt (edel im Gegensatz zu gemein, obwohl auch diese Kreaturen sehr hinterhältig mit gezieltem Sprühdurchfall den verfolgenden Falken abzuwehren versuchen). Nach vielen Jahren Auslandserfahrung u.a. auch in Marokko, Oman und Libanon, und mit der arabischen Weisheit im Gepäck, daß die Anwartefalknerei eigentlich unfair sei, da doch der Falke hoch über dem Wild stünde und somit einen riesigen Vorteil hätte und doch der Falke auf der Faust und das Wild am Himmel das Maß aller Dinge sei, ging es zurück nach Europa.

 

Verfasser als „Abu Marc“ in Pakistan mit Gerfalke und erbeuteter Kragentrappe.



Nunmehr in Spanien lebend widmet er sich seit einigen Jahren in einem sehr gut besetzten Revier von 6000 Hektar wieder der Beize auf das gemeine Rothuhn und beschreibt folgend die Gemeinheiten dieser Hühner.


Das gemeine Rothuhn wird in Spanien gnadenlos bejagt. Eine Jagdzeit vom 8. Oktober bis 8. Februar und daran folgend bis Mitte März noch die Lockjagd dezimieren die Bestände stark. In großen Vorstehtreiben, an denen die gesamte Dorfbevölkerung als Treiber teilnimmt, werden in sehr guten Revieren an einem Wochenende von zehn Schützen mit Schwesterflinten über 2.000 (in Worten: zweitausend) Hühner geschossen, was dem Eigentümer mal eben 150.000.- € (in Worten: einhundertfünfzigtausend Euro) einbringt. Als Faustzahl für den Besatz gilt: ein Huhn pro Hektar; bei guter Hege, Zufütterung und vor allem Tränke das Doppelte. Reviere bis 10.000 Hektar sind in Spanien keine Seltenheit. Textaufgabe kurz mal nachrechnen…nicht schlecht.

 

Auf den „cacerías“ werden Schwesterflinten schon mal glühend geschossen.



Das gemeine Rothuhn kompensiert diese riesigen Verluste durch eine beeindruckende Reproduktionsrate. Meist Anfang Juni schlüpft das Gelege von bis zu 18 Eiern. Es gibt Berichte, daß eine Henne zwei Gelege gleichzeitig anlegt und beide Partner getrennt die Küken erbrüten. Gruppen von über 30 Individuen sind keine Seltenheit, obwohl es sich dabei allerdings im Herbst meist um zwei verschiedene Ketten handelt, die sich das Revier teilen. Eine abwechslungsreiche Fruchtfolge und viel Brachland mit reichlich Insekten für die ersten Lebenswochen sind weitere Garanten für eine gute Bestandserholung. Während das gemeine Rothuhn auf den Treibjagden den Flintenschützen außer seiner Schnelligkeit kaum etwas entgegenzusetzen hat, beherrscht es gegenüber dem anwartenden Falken eine Vielzahl von Gemeinheiten, die den arglosen Anwartefalkner vor Verzweiflung manchmal in den Handschuh beißen läßt.



Das Minutenspiel
Falken, die über dem vorstehenden Hund geflogen werden, haben sich einen gewissen Zeitplan angewöhnt. Der Falke wird entkappt, sieht den vorstehenden Hund, macht seine Höhe über seinem Jagdkumpan. Je nach Motivation und Wetterverhältnissen sollte die Arbeitshöhe in gut zwei Minuten erreicht sein. Die Hühner werden gehoben, der Falke stößt und schlägt, oder auch nicht. Hat der Falke einen Fehlflug und steigt wieder, versuchen meist Falkner und Hund durch hirnloses Herumirren im Feld ein sicher nicht mehr vorhandenes weiteres Huhn hochzumachen. Da dies niemals gelingt, erkennt der Falke bald die Hoffnungslosigkeit derartiger Aktionen, verliert an Höhe und stellt sich ab. Ein durchschnittlicher Anwarteflug dauert somit wenige Minuten.


Ein derart trainierter Falke kommt nun das erste Mal nach Spanien. Um es gleich zu sagen: sein vierbeiniger Jagdkumpan ist zu Hause geblieben, da das gemeine Rothuhn üblicherweise nicht vor dem Hund hält, sondern einfach weiterläuft oder –  ernsthafter bedrängt – davonfliegt. Zudem sind die Schollen gepflügter Äcker durch die Trockenheit betonhart und ruinieren die Pfoten innerhalb kurzer Zeit. Die Hühner werden daher mit dem Glas gesucht. Ist eine Kette gefunden, was bei gutem Besatz nie lange dauert, ist es sinnvoll, sich so zu positionieren, daß die Hühner den abstreichenden Falken nicht sehen können. Ideal ist bei leicht welligem Gelände, wenn die Kette laufend hinter einer Kuppe verschwindet. Die Strategie besteht darin, daß sich die Hühner bei Ansicht des bereits hoch fliegenden Falken drücken, der Falkner über die Kuppe geht und die dort fest liegenden Hühner hochmacht. Soweit der Wunschgedanke.


Nun die Realität: Der Falke steigt tapfer auf seine Rebhuhn-Arbeitshöhe und stellt sich über dem Falkner ein. Die Kuppe, hinter der die Hühner verschwanden, ist noch etwas hin, Laufen ist angesagt. Der Falke ist etwas irritiert. Kein Hund, kein Bezugspunkt, ein augenscheinlich planlos rennendes Herrchen. Das kennt er doch. Das passierte doch immer, wenn danach nichts mehr passierte. Der Falke verliert somit an Höhe, seine innere Uhr tickt. Eigentlich sollten schon lange Hühner fliegen. Die Kuppe ist erreicht. Noch ein Blick nach oben, der Falke steht noch ganz ordentlich und rein in den Thymian mit Gebrüll. Nichts! Was tun? Wo sind die Hühner, die waren doch gerade eben noch hier? Rechts oder links oder geradeaus? Nun beginnt wieder das, was der Falke schon lange vorausgesehen hatte. Das planlose Herumirrlichtern in hüfthohen Disteln. Seine Zeit ist eh um, der Falke stellt sich ab. Just in diesem Moment geht 30 Meter von dem verzweifelten Falkner entfernt die ganz Kette hoch, wobei der Hahn es nicht versäumt, sich laut rufend – sozusagen lachend – zu verabschieden.


Die Arbeitshöhe
Nirgendwo wird soviel übertrieben – evtl. noch bei den geangelten Fischen – wie bei den Höhen der Anwartefalken. Ein österreichischer Falkner rief nach jedem Flug seines Falken beim Wetterdienst des Flughafens an, um sich nach der aktuellen Wolkenhöhe zu erkundigen. Schnell machte die Kunde von mittleren Anwartehöhen von schlappen 4000 Metern die Runde an Falknerstammtischen. Kein Wunder, daß dieser Vogel die Rebhühner nach Aussagen seines Falkners regelrecht „atomisierte“ und somit konnte er folgerichtig niemals ein gebeiztes Huhn präsentieren. Wir wollen uns an diesem Wetteifern um Höhenmeter nicht beteiligen. Jedes Wild und jede Revierbeschaffenheit erfordert eine spezielle Höhe des Falken, um erfolgreich zu sein. Was nützt eine „sky-trialer“-Höhe von über 400 Metern, wenn die nächste Deckung nur 80 Meter entfernt ist. So steigt ein guter Falke nur genau so hoch, daß er auf sein Wild erfolgreich ist. Bei der Beize mit dem vorstehenden Hund wissen Falke und Falkner bis auf wenige Meter genau, wo das Wild liegt und es kann somit im günstigsten Moment hochgemacht werden. Steht der Falke etwas abseits, wird halt gewartet, bis er sich optimal einstellt; die Hühner halten ja.


Ganz anders verhält sich das gemeine Rothuhn. Es kennt alle Greife, die ihm an den Kragen wollen und deren Techniken: die Wanderfalken, Weihen, Habichte und Steinadler. Und es kennt alle Tricks, diesen zu entgehen. Hat der Beizfalke erst einmal gelernt, daß er auf die Rothühner viel länger fliegen muß, bis das ersehnte Wild hochgemacht werden kann, kommt die nächste Enttäuschung. Der Falke fliegt in seiner gewohnten Rebhuhnhöhe und es ist wie immer: keiner weiß, wo die Hühner liegen. Plötzlich geht die Kette 50 Meter entfernt hoch. Der Falke reagiert spontan, setzt einen Schrägstoß an, kommt nicht an die Kette, versucht schwingenschlagend zu folgen, der Abstand wird immer größer, die Kette verschwindet am Horizont. Bei ausreichender Höhe wäre das nicht passiert. Die Lehre daraus: Der Falke muß in einer Höhe stehen, die ihm eine so gute Position bietet, daß er in einem möglichst steilen Winkel einen Radius von ungefähr 100 Metern abstoßen kann. Kommt er nicht im Tropfen bis an die Hühner, wird ein Beizerfolg Zufall bleiben. Ausfliegen läßt sich ein gemeines Rothuhn nämlich nicht.



Die Thermik
Hilfreich beim Erlernen des Jagens aus großen Höhen sind in Spanien zweifelsfrei die Witterungsverhältnisse. Beim Einfliegen eines Jungfalken im August/September reden wir von blauem Himmel, gleißender Sonne und Temperaturen von 40 Grad oder mehr. Wer spielt sich da nicht gern in kühlere Luftschichten zusammen mit Geiern und Milanen. Selbst fliegen ist auch nicht notwendig. Ohne einen Schwingenschlag zieht die Thermik einen gnadenlos nach oben. Unerfahrene Jungfalken haben bisweilen Probleme wieder herunterzukommen und sollten daher nicht in der Mittagshitze geflogen werden. In Spanien trainierte Falken sind derartige Verhältnisse gewohnt und können im Beizbetrieb auch mittags sicher geflogen werden. Beizfalken aus Nordeuropa kennen derartige Bedingungen meist nicht und gehen sofort in das „Schweimen“ über. Sie öffnen fächerartig den Stoß und lassen sich mit derart vergrößerter Körperoberfläche leichter von der Thermik nach oben ziehen. In großen Kreisen immer höher fliegend lassen sie sich unter Wind abtreiben, bis sie sich schließlich im Glas flimmernd im Blau des Himmels auflösen. Die große Kette des gemeinen Rothuhns hinter den Mandelbäumen ist wenig beeindruckt und streicht erst gemächlich ab, als sie den verzweifelten und wild mit dem Federspiel um sich schlagenden Falkner wahrnimmt. Die Hühner wissen, daß ein schweimender Falke nicht jagt, der Falkner wußte das bislang nicht. Nun kommt es darauf an, seinen Falken gut erzogen zu haben. Die goldene Regel, immer mindestens 15 Minuten zu warten, bis man mit ausgeklappter Antenne dem Falken hinterherfährt, gilt auch hier! Ein Falke in richtiger Kondition schweimt meist nicht länger als diese Zeit und zieht über den Falkner; allerdings häufig „fuera de la vista“, somit am Himmel für das unbewaffnete Auge nicht mehr sichtbar. Problematisch wird es, wenn der Falke nicht taubenrein ist, denn auf seinem Wege zurück kann er aus Höhen von einigen hundert Metern so manchen Leckerbissen ausmachen. Nunmehr ist er aber jagdbereit. Er zieht hart schlagend zielstrebig gegen den Wind über den Falkner, er „wuppt an“. Die bekannte Kette hatte sich mittlerweile bereits verabschiedet, also was tun? In diesem Falle ist ein gut besetztes Revier von Nöten, welches einem erlaubt, frische Ketten unter dem Falken hochzumachen.


Falken, die dieses Geschäft gut kennen, erbeuten in spektakulären Flügen auch die besten Rothühner. Allerdings ist der Stoß nicht von Beginn an zu sehen, sondern meist nur zu hören. Ein deutlich wahrnehmbares Zischen wird von allen Jagdteilnehmern ehrfürchtig  mit der Bemerkung: „ Hörst Du ihn, er kommt! “ bedacht. (Anmerkung: seit geraumer Zeit ist fränkischer Erfindergeist intensiv damit befasst, durch Rücken- oder Stoßmontage eines kleinen Pfeifchens den ultimativen „sound“ eines stoßenden Falken zu kreieren). Bei Falken, die mit der Thermik in südlichen Breiten überfordert sind und daher ein Beizen in geordneten Bahnen nicht mehr erlauben, hilft meist ein kleiner Trick. Mittels eines normalen Gummibandes, eines sogenannten „Schnippsgummis“, wird der Stoß gebunden. Diese Maßnahme verhindert, daß der Falke den Stoß spreizen kann und ein Schweimen wird dadurch sicher verhindert. Beim Stoßen wird das Gummi vom „Fahrtwind“ abgestreift, die Manövrierfähigkeit an der Beute wird somit in keiner Weise beeinträchtigt.

 

Falkenterzel „Braveheart“ aus der Zucht von Alexander Prinz.


Die Provokation
Mittlerweile hat unser Falke gelernt, in sehr guten Höhen ausdauernd über dem Falkner geduldig zu warten. Flüge von einer halben Stunde und mehr sind inzwischen normal. Der längste gestoppte Flug eines Wanderfalken betrug 1 Stunde 10 Minuten. Eine Kette des gemeinen Rothuhns ist ausgemacht, der Falke steht gut am Himmel. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die Hühner gehoben werden können. Da springt der alte Hahn für jedermann gut sichtbar auf eine prominente Scholle, ruft laut und durchdringend und schlägt intensiv mit den Schwingen. Diese Chance läßt sich kein Neuling entgehen. Im Steilstoß wird der Angriff vorbereitet und der Hahn nur ganz knapp am Boden verfehlt. Aufsteilen und erneute Attacke verfehlen den knicksenden Hahn wiederum nur knapp. Es folgen Angriff auf Angriff auf die augenscheinlich leichte Beute, bis der Falke nach einer Unzahl von Durchgängen mit offenem Schnabel langsamer wird, einen weiten Ring zieht und schließlich der Hahn laut rufend in entgegengesetzter Richtung abstreicht. Der Falke steht erschöpft auf dem Acker und sieht konsterniert, daß nun die ganze Kette dem Hahn folgt und im entfernten Schilf verschwindet. Das motiviert nicht gerade. Nächstes Lernziel: nur auf fliegende Hühner stoßen, ansonsten schön oben bleiben.



TTV
Für die älteren Leser und insbesondere damals Wehrpflichtige steht „ttv“ für: täuschen, tarnen und verpissen. Die Beherrschung dieser Tugenden waren Garant für einen sonnigen Lenz und die Voraussetzung, um beim „Bund“ eine möglichst ruhige Kugel schieben zu können. Mit dieser Methodik ist allerdings auch das gemeine Rothuhn durchaus vertraut, wie folgendes Beispiel verdeutlicht. In den ersten Lehrjahren der Rothuhnbeize wurde eine Kette des gemeinen Rothuhns gesprengt und ein Huhn mit dem Glas verfolgt, bis es gut sichtbar für die Falkner weit entfernt an einem großen Steinhaufen direkt unter einem einzelnen Olivenbaum einfiel. Rundum kein weiterer Baum, kein Strauch, keine Deckung, plattes Land mit Stoppeln so weit das Auge reichte. Das wird mein Huhn! beschloß der schon immer als etwas arrogant bekannte Verfasser. Der Falke wurde entkappt und stieg in das Blau des spanischen Himmels. Er kannte sein Geschäft: hohes und ausdauerndes Anwarten waren schließlich der Garant für einen tollen Flug und die sichere Beute. Der Weg zum Steinhaufen war weit, der Falke aber immer tapfer an den Himmel genagelt. Endlich waren wir ganz nah. Kein Huhn war zu sehen. Vielleicht drückt es sich hinter dem Haufen. Leider auch nicht. Da sahen wir zwischen den Steinen einen breiten Spalt. Das gemeine Rothuhn wollte sich augenscheinlich dem legitimen Zugriff des Falken entziehen, hatte aber die Rechnung ohne die Falkner gemacht.

„Den Haufen zerlegen wir“ war die Ansage an die beiden Kameraden, die umgehend damit begannen, Stein für Stein den Haufen umzuschichten. Der Falkner selbst war mit der Beobachtung des Beizfalken ausreichend beschäftigt. Die gesamte Aktion dauerte eine gefühlte Ewigkeit, der Falke hielt sich aber weiterhin in guter Höhe. Der Steinhaufen war mittlerweile dem Erdboden gleichgemacht und noch immer kein Huhn. Als letztes wurde eine Steinplatte sichtbar, unter die ein vermutlich von einem Kaninchen gegrabener Gang führte. Einvernehmlicher Kommentar aller Beteiligten: „Das Huhn ist da drunter!“ „Alles hört auf mein Kommando. Wenn ich „jetzt“ sage, hebt ihr die Platte an!“ Der Falke wurde langsam etwas nachlässig, dauerte doch diese Aktion auch für ihn etwas lange. Durch ein Wedeln mit dem Handschuh wurde die Aufmerksamkeit wieder geweckt, er zog genau über uns „Jetzt!!“ Die Platte flog zur Seite, ich schaute hoch zum Falken, der allerdings keinen Zucker machte. Ich schaute dahin, wo vorher die Platte war. Bis auf einige hektische Dunkelkäfer und eine im Schlaf gestörte Berberkröte: nichts! Das gemeine Rothuhn hatte sich verpisst!  Sehr ärgerlich! 

Was blieb anderes übrig, als den Falken mit dem Federspiel einzuholen. Dieser Falke hatte im Gegensatz zu allen anderen meiner Rothuhnfalken einen sehr guten Appell und kam im Stoß herunter. Just in dem Augenblick, als der Falke auf dem Federspiel saß und kröpfte, vernahmen wir ein deutliches Purren und das Objekt unserer Begierde entflog dem Olivenbaum über uns, in dem es die ganze Zeit gesessen hatte, sich vermutlich an unserem Leid gelabt und vor klammheimlicher Freude fast ins Kloakengefieder gemacht hatte. Daß das gemeine Rothuhn gerne in Bäume flüchtet, wird häufig beobachtet und seitdem von uns bei der Beize strategisch immer eingeplant.


Eine weitere ttv-Strategie des gemeinen Rothuhns sei folgend geschildert. Seriöse Anwartefalkner handeln immer nach den Prinzipien der deutschen Weidgerechtigkeit und nach dem selbst verordneten Ehrenkodex, daß ein vor dem Falken in die Deckung gelangtes Huhn an diesem Tage nicht mehr angefaßt wird. Von diesem hehren Gedankengut beseelt wird der Falke entkappt. Er steigt in eine gute Höhe, die Hühner werden gehoben, der Stoß erfolgt. Das Huhn wird nur leicht touchiert, einige Federn fliegen und es rettet sich in einen dicht bewachsenen Graben. Der Falke steilt auf und beginnt wieder auf seine vormalige Höhe zu steigen. Was nun? Jeder weiß, wo das Huhn ist. Direkt vor uns im Graben. Das Huhn hat gewonnen; es war halt besser als Falke und Falkner zusammen; Chapeau! Aber: Eigentlich hätte es der Falke doch verdient, das Huhn zu bekommen, ist er doch ganz ordentlich geflogen. Eigentlich hätte es auch der Falkner verdient, endlich ein gebeiztes Huhn in der Hand zu halten und das frische Foto den Daheimgebliebenen umgehend per Whatsapp zu schicken. Eigentlich könnte das Huhn auch schwer krank sein, schließlich hatte keiner ganz genau gesehen, wie intensiv der Kontakt war. Eigentlich beizen wir ja in Spanien und dem spanischen Weidgesellen sind derartige Gelübde völlig fremd. Im Rahmen einer von allen Seiten geforderten Integrationswilligkeit könnten wir – zweifelsfrei Falkner mit Migrationshintergrund – gerade hier und jetzt mit gutem Beispiel vorangehen und uns nicht vorhandenes spanisches jagdliches Brauchtum zu eigen machen. Sind zudem viele Tage vergangen, ohne ein einziges gemeines Rothuhn gebeizt zu haben, rücken Weidgerechtigkeit und Ehrenkodices schon mal in den Hintergrund. Kurzum: „Das Huhn machen wir flott!“

 

Drei ausgewachsene Männer durchkämmten nun den Graben Zentimeter für Zentimeter und das dauerte. Das Laufen ist nicht ganz einfach in den spanischen „arroyos“, da diese wie ein Schweizer Käse mit Kaninchenbauten durchlöchert sind. Und da sahen wir ein weiteres Beispiel für die Niederträchtigkeit des gemeinen Rothuhns: Eine Spur von wenigen Federn des Kleingefieders führte direkt in eine Kaninchenröhre. Auf die Knie und den Arm tief hineingesteckt; nicht etwa um das arme Huhn auch noch herauszufingern, sondern halt nur so. Und tatsächlich ließ sich etwas fühlen: Lederartig, schuppig. Das Bein dieses wirklich besonders gemeinen Huhnes? Die Antwort kam prompt. Im Zeigefinger verbiß sich eine ausgewachsene Perleidechse – kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort – , die hier in Spanien schon mal bis zu 70 Zentimeter lang werden und über kräftige Kiefer verfügen. Trotzdem Glück gehabt, denn auch große Treppennattern und Skorpione leben gern in Kaninchenbauten und wehren sich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden, oft sehr schmerzhaften Mitteln.

 

Perleidechsen sind wehrhafte Gesellen.



Harte Brocken
Über die ultimative Ästhetik eines Jagdfluges auf Reb- oder Rothuhn läßt sich trefflich streiten. Für die einen ist der Flug aus guter Höhe, Steilstoß im Tropfen, Unterfliegen der Beute, Binden im Fluge und langsam zu Boden Gleiten die klassische Jagdart des Anwartefalken. Für die anderen ist das eher martialische Herunterschlagen aus großer Höhe kommend das “non plus ultra“, wobei Rebhühner tatsächlich einen harten Niederschlag meist nicht überleben und wenn nicht sofort tot, mit einer blitzartigen Rolle am Boden ergriffen und abgenickt werden. Beim gemeinen Rothuhn funktioniert diese Technik allerdings nicht, oder nur in den seltensten Fällen. Auch hart getroffene Hühner, die zweimal wie ein Ball auf die Erde aufschlagen, fliegen danach weiter, als sei nichts geschehen. Manchmal werden Rothühner zur Strecke gebracht, die auf der gesamten Rückenpartie nachwachsendes Kleingefieder aufweisen. Ein Beweis dafür, wie unbeschadet sie den vorangegangenen Feindkontakt überstanden hatten. Hin und wieder kommt auch der beste „Fänger“ nicht umhin, die Beute anzuschlagen; nämlich wenn die Gefahr besteht, mit dem gebundenen Huhn in einen Olivenbaum oder eine andere dichte Deckung einzuschlagen.


Einige wenige Falken beherrschen eine Technik, der auch das gemeinste Rothuhn nichts entgegenzusetzen hat. So gab es einen kleinen spanischen brookei-Terzel mit 480 Gramm Kampfgewicht, der die Hühner – für das menschliche Auge fast nicht wahrnehmbar – mit tödlicher Wirkung nur auf den Kopf schlug. Der begnadete „Gitano“ von Franz Carton entwickelte eine Technik, dem fliegenden Huhn unter die Schwinge zu schlagen, was den sofortigen Tod zur Folge hatte, so daß das Huhn wie nach einem Flintenschuß vom Himmel fiel. Generell gilt allerdings der Merksatz: ein niedergeschlagenes Rothuhn ist ein verlorenes Rothuhn.

 

Gegen marodierende Franken in landestypischer Beiztracht (T. Wachtler, rechts) ist auch das gemeine Rothuhn machtlos. Man beachte das in der Jagdweste von R. Hussong (links) versteckte Huhn, der allerdings nichts Besseres zu tun hat, als mit einem „selfie“ die Daheimgebliebenen zu erschrecken.  

 

Fazit
Es hat viele Jahre gedauert, bis der deutsche Falkner den Gemeinheiten des spanischen Rothuhns etwas entgegenzusetzen hatte. Nach nunmehr über 20 Jahren Beizerfahrung mit diesen gewitzten Hühnervögeln begegnen wir uns mittlerweile auf Augenhöhe. Obwohl genau betrachtet, braucht es noch immer zwei Kreaturen, nämlich Falke und Falkner, um ein gemeines Rothuhn zu erlegen. Eigentlich auch ganz schön gemein. Wer sich von den obigen Schilderungen nicht entmutigen läßt, einen guten Falken und noch bessere Nerven hat und sich zudem danach sehnt, sich zum Gespött des gemeinen Rothuhns zu machen, der sei hier in Spanien herzlich zu einer gemeinsamen Beize willkommen. Sicher wird dabei die eine oder andere hier noch nicht erwähnte Gemeinheit dieser listigen und hübschen Hühnervögel der Liste hinzugefügt werden.

Manfred Heidenreich

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