Lehrjahre mit dem Steinadler (Teil 2)

Mein erstes "Lehrjahr" mit meinem Steinadler Dino ging dem Ende zu, und ich war sehr stolz auf meinen wunderschönen Beizvogel. Als Jungfalknerin hatte ich zwar einige Blessuren davongetragen, doch wusste ich mittlerweile auch, dass oft Fehleinschätzungen dazu geführt hatten. In den Monaten ohne Flugtraining und Jagd trug ich meinen Adler dennoch fast täglich spazieren und regelmäßig war er auch unverhaubt in der kleinen Kneipe zum Dämmerschoppen dabei, wo meine tschechischen Falknerfreunde und ich oft noch gemütlich beisammen saßen
Durch das starke Manteln auf der Beute in den ersten Wochen unserer gemeinsamen Ausbildung, waren Dino's Stossfedern ganz schön ramponiert und die Spitzen alle abgebrochen. Durch meine Unerfahrenheit, schließlich war der Steinadler mein erster Beizvogel und ich selbst hatte nur ein Jahr Falknerpraxis, verließ ich mich oft auf die Empfehlungen der tschechischen Falkner. Daher habe ich sowohl gute als auch weniger gute Ratschläge gerne angenommen, konnte ich zu der Zeit den Unterschied doch noch nicht ausmachen.

So kam es, dass mir Ladja Bahr zur Beschleunigung der Mauser ein "Spezialfleisch" besorgte (Ladja war Metzger und praktisch an der Quelle); es handelte sich um Kalbsdrüse. Dino warf in den darauf folgenden Wochen nach und nach elf (!) Stossfedern. Damit sich die neuen Federn gut entwickeln konnten, trichterte mir Ladja aber auch ein, dass ich für beste Atzung sorgen musste. Das war  gar nicht so einfach in der damaligen Tschechoslowakei. Ich kaufte also regelmäßig beim Metzger Rinderherz und schoss mit dem Luftgewehr die Tauben vom Scheunendach unseres Nachbarn "Diezn Emmeram" in Münchenreuth. Die Beute war meist gering, denn nach dem ersten Schuss machte sich der Schwarm auf und davon und ich musste mein Glück am nächsten Tag wieder versuchen. Bei jedem neuen Beutezug schienen mich die Tauben schon an meinen Gummistiefeln zu erkennen und ich ließ mir ständig andere Verkleidungen einfallen. Die Besorgung von gutem Futter für meinen gefiederten Freund beschäftigte mich so sehr, dass andere Freizeitaktivitäten völlig in der Bedeutungslosigkeit versanken. So trennte ich mich von meiner BMW 650 (ich liebte ihr schnurrendes Motorengeräusch) die ich 13 Jahre besaß und mit der ich mit großer Leidenschaft gerne über die bayerischen Alpenpässe brummte. Man muss sich im Leben eben für eine Sache entscheiden und ich hatte die Verantwortung für einen Adler übernommen.

Ladja Snobert, der Meisterkoch, (mit Adler)

Dino erwartete mich nach wie vor, wenn er meine Stimme von Weitem hörte, auf dem Holzblock vor seiner Flugdrahtanlage und begrüßte mich mit leisem "Glucksen". Von diesem Wildfang waren sehr selten Lautäußerungen zu hören. Manchmal, wenn ich ihn so beobachtete, glaubte ich, in seinem ruhigen Blick wirklich so etwas wie Sympathie und Zuneigung zu erkennen. Nach der ersten Begrüßung flog er fast immer in sein Spitzhäuschen um mich in seinen "privaten Bereich zu locken". Denn sobald ich ihn dort auf die Faust nahm und mich hineinsetzte, fing er fast augenblicklich an sich ausgiebigst zu putzen. Ich saß oft stundenlang so mit ihm und träumte vor mich hin; was war ich doch für ein Glückspilz.

 

Den Sommer über war ich mit meinen tschechischen Falknerfreunden oft an den zahlreichen Teichen angeln (schwarz natürlich!) und Franzek organisierte regelmäßig Grillabende in der Volierenanlage. Einer der Falkner, Ladja Snorbert, war Koch und er konnte aus jeder Beute eine kulinarische Köstlichkeit zaubern. Mal wurde ein Schweinchen geschlachtet und am Spieß gebraten oder würzige Karpfensteaks gegrillt (wenn ich daran denke, hmmm). Oft kamen andere Falkner von weither zu Besuch; die übernachteten immer auf dem Dachboden der Gemeinschaftshütte in Gesellschaft von Siebenschläfern, Mäusen und Schleiereulen.
Für mich war es immer wieder verwunderlich, wie meine tschechischen Freunde aus wenig Zutaten und ohne viel Vorbereitung fantastische Gerichte zaubern konnten: die böhmische Küche. Alle Aktionen wurden ohne Hektik ausgeführt und hatten etwas von einer wohlgeordneten Langsamkeit an sich.
Der tschechischen Sprache nun etwas mächtig, konnte ich mich mit allen ganz gut verständigen. Franzek war der Motor der ganzen Truppe. Er verstand es geradezu meisterhaft, alle Falkner unter seinem Kommando zu vereinen. Wenn man ihn nicht sehen konnte, so konnte man ihn auf jeden Fall hören.

Im Schlosshof von Opocno

Der Sommer verging und die Tage wurden wieder kürzer, es roch nach Herbst. Mein Freund Alfred hatte mir eine Adlerkiste gebaut und meine Ausrüstung war um einige Utensilien erweitert worden. Ein Problem war immer die Beschaffung von gutem Geschühleder. In einer Lederfabrik in Marktredwitz wurde ich fündig, aber das gute, feste Leder hatte auf einer Seite eine silbrige Glitzerbeschichtung, was absolut nicht zu meinen archaischen "Waffen" passte. Egal, das Leder war super und ich brauchte dringend neues Geschüh für die nächste Jagdsaison; niemals sparte ich an gutem Material. So bekam Dino ein Geschüh in Metallic-Optik!
Mein Steinadler hatte Anfang September alle Stoßfedern fast fertig geschoben und sah vollkommen runderneuert aus. Ich begann langsam wieder mit dem Flugtraining auf der Übungswiese. Die Adlerhaube baumelte fast ausschließlich als Dekoration an meiner Falknertasche und ich benutzte sie nur sehr selten.
Hatte ich doch so gute Erfahrungen gemacht mit meinem "sehend" mitarbeitenden Jagdgefährten.  Dino war ein sehr abgeklärter, selbstbewusster Adler geworden. Am meisten freute ich mich auf die große internationale Falknertagung in Opočno. Die Falkner Franzek, Lada B., Lada S. und Stenjek sprachen die ganze Zeit von nichts anderem mehr. Franzek erzählte in seiner "kreativen" Art die wildesten Geschichten darüber aus vergangenen Zeiten.
Ich flog Dino nun immer mit dem Sender, da ich ihn im zweiten Jahr im Gewicht viel höher nahm. Meine Erfahrung hatte mir schließlich gezeigt, dass es eine Freude ist, mit einem "Lustjäger" zu jagen und nicht mit einem hungrigen "Frustjäger". Sein Jagdgewicht lag nun bei ca. 3300 g, wobei man alles in Beziehung setzen muss; Tageszeit, Temperatur, Geländeart, Wind und nicht zu vergessen die Tagesform des Vogels.
Heute benütze ich die Waage nur sehr selten, eine kurze Zwiesprache mit meinem Adler genügt, und er "sagt" mir, wie er "drauf" ist.
Mehrmals die Woche pendelte ich wieder über die Grenze und trainierte meinen Freund mit unverändert großer Freude, bei jedem Wetter. Opočno stand vor der Tür und Dino war fit wie ein Turnschuh.
Wieder fuhren wir zu dritt in einem Auto und mein Adler stand in der neuen Transportkiste. Eine 7-stündige Fahrt mit einem Handschuh knetenden Steinadler auf der Faust hätte mein Arm nicht überlebt. Dino hatte die Haube in besonderen Fällen zwar irgendwie akzeptiert, aber entspannt war er darunter nie.

Meine Adlergruppe in Opocno mit Uli Voell

Als wir in Opočno einliefen, glich die kleine Stadt an der polnischen Grenze einem Hornissennest. Überall standen Autos mit geöffneten Kofferraumdeckeln, aus denen Habichte, Saker und Steinadler hervorgeholt wurden. Die Strassen waren gesprenkelt von Schmelzstreifen und Dotterklecksen ausgedrückter Küken. Sogar auf dem Moped (!) war ein Falkner mit seinem Habicht gekommen. Franzek wurde von allen Seiten begrüßt und schnell machte er mich mit der halben Republik bekannt. Hotelzimmer waren absolute Mangelware bei diesem Ansturm von Falknern. Meist wurden aus 2-Bett-Zimmern einfach 5-Personen-Zimmer gemacht. Wer "oben" keinen Platz erwischte legte den Schlafsack auf den Boden. Auch der Flur war zum Teil mit Schlafsäcken belegt und der Fernsehraum sowieso.
Als ich die Türe zu unserem Zimmer öffnete, begrüßte mich das Muster des Teppichbodens mit all den Microorganismen, die sich in den vielen Jahren darauf angesiedelt hatten. Kein Falkner, der im Schlosshotel einmal genächtigt hat, wird das grün-braun-beige Rautenmuster je wieder vergessen !! Die mit Fernwärme gespeiste Heizung konnte man nicht abstellen und selbst bei geöffnetem Fenster sank die Temperatur selten unter 25 Grad. Das Bad hatte die besten Zeiten schon lange hinter sich. Beim Öffnen des Wasserhahns gab dieser unter ächzendem Protest eine getönte Flüssigkeit von sich, die sich nur widerwillig klärte. Hinter dem Hotel lag das wunderschöne Jagdschloss mit einem riesigen Innenhof, wo täglich der Beizvogelappell abgehalten wurde. Es war eine Kulisse wie in einem schönen Roman.
Neben dem Marktplatz lag die Beizvogelwiese von großen Bäumen umrahmt. Als ich meinen Adler dorthin brachte, standen schon mehr als 30 Habichte und fast ebenso viele Steinadler dort; wenige Saker und Wanderfalken.
Die Falkner kamen aus der Slowakei (damals noch Tschechoslowakei), aus Ungarn, Österreich, England, Belgien und Deutschland. Müde fiel ich in mein Bett und konnte vor Aufregung kaum schlafen; Auch sorgte die im Erdgeschoss liegende Diskothek dafür, dass das Hotel die ganze Nacht vibrierte .Hatte ich wirklich nichts vergessen? Immer wieder überprüfte ich meine Ausrüstung und die Küken, die ich mit einigen Gefrierakkus im Nachtkästchen deponiert hatte. Um 6.00 Uhr riss mich das "Hohe Wecken" aus dem Schlaf, das ein Falkner direkt vor unserem Fenster blies. Ausrüstung überprüfen, dem Wasserhahn im Bad gut zureden, rein in die Gummistiefel und nur ja nichts vergessen. Um 8.00 Uhr glich der Marktplatz bereits einem Ameisenhaufen.
In Scharen strömten die Falkner Richtung Schlosshof zum Appell und wurden dort in Gruppen eingeteilt. In meiner Adlergruppe waren mehrere tschechische Falkner und ein Falkner aus Deutschland, der mir schon gleich zu Beginn auf die Nerven ging durch seine Komisssprache. Er hieß Uli Voell und hatte als Erster in Europa Steinadler durch künstliche Besamung gezüchtet. Seine wissenschaftlichen Erkenntnisse waren die Grundlage der Steinadlerzucht in Europa. Dass er Jahre später mein Ehemann werden sollte, hätte ich mir niemals gedacht.
Stolz trug ich meinen Steinadler über Rübenfelder, die bis zum Horizont reichten, manchmal bis zu 6 Stunden am Tag. Am ersten Jagdtag hatte Dino einen Hasen gefangen, wieder hatte er ihn mir "gezeigt" durch seine aufmerksame Mitarbeit. Der "Komissfalkner" hatte mit seinem jungen Steinadler sage und schreibe vier Hasen erbeutet, meine Bewunderung musste ich zähneknirschend zugeben. Am zweiten und dritten Jagdtag brachte Dino noch jeweils zwei Hasen zur Strecke und wir konnten uns mit unserem Jagderfolg schon sehen lassen. Am letzten Jagdtag war ich körperlich total fertig, so dass ich den "Grünen Abend" nur im Dämmerzustand erlebte während eine 8-köpfige Big-Band den Saal zum Kochen brachte. Da es am Abend zu regnen anfing, holten viele Falkner ihre Vögel mit in das Hotelzimmer; damals eine völlig normale Angelegenheit. So stellte ich meinen Adler verhaubt auf das Nachtkästchen neben mein Bett, damit er am Abreisetag nicht mit feuchtem Gefieder in die Transportkiste musste. Als ich am Morgen erwachte, stand Dino entspannt auf einem Bein neben meinem Bett auf dem Nachttisch und schaute mich mit grossen Augen an. Er hatte sich die ungeliebte Haube vom Kopf gezogen. Völlig ruhig stand er da, mit halb vollem Kropf; die andere Hälfte war auf dem Teppichboden strahlenförmig verteilt und mit dem Rautenmuster verschmolzen.
Die erste große internationale Tagung brachte mir neue Freunde und Kontakte, auch nach Deutschland.

Der Fuchs vom Grenzrevier

Es war erst Anfang Oktober, und viele kleine Falknertreffen lagen noch vor mir. Unsere Trainingswiese war zu der Zeit mit hüfthohem Altgras bewachsen und immer für eine Überraschung gut, denn dort gab es keine Spaziergänger, die uns im "Revier" stören konnten. So auch an diesem sonnigen Oktobertag 1990. Ich gab meinen Adler wie immer frei und er baumte elegant auf. Plötzlich streckte sich der Adler und wurde immer länger und länger, ich wußte, er sieht etwas. Doch in dem hohen Gras konnte ich unmöglich etwas ausmachen und ich vermutete eine von den Katzen, die dort halbverwildert gerne herumliefen. Dino stieß sich ab, um sich nach ca. 150 Metern wie ein Pfeil in das Gestrüpp zu stürzen. Ich konnte nichts sehen und musste mich erst mal durch den hohen Bewuchs kämpfen. Da kam mir mein Adler schon breitbeinig und ziemlich grantig zu Fuß entgegen, etwas war ihm entgangen..! Er schlug giftig, mit gesträubtem Kopfgefieder, die Fänge in meinen Handschuh und ich hielt ihn hoch über meinen Kopf. Nach kurzer Entspannung startete Dino erneut in die gleiche Richtung, überflog zweimal ringförmig die Wiese, in einer Art Suchflug, um dann mit Vollgas 50 Meter weiter in die Brennnesseln zu krachen. In einem Sekundenbruchteil hatte ich sie ganz kurz gesehen...........die Lunte !.... Ein Fuchs, ein Fuchs, ein Fuchs...! Ich lief und fiel, sprang über den Bach, rannte und stolperte; es dauerte so unendlich lange, bis ich atemlos beim Adler war; da stand ich vor meinem Freund, der tapfer den Fuchs hielt, obwohl eine Zehe sich in dessen Fang befand. Meine Lehrmeister hatten mich gut vorbereitet; schon war der Dolch gezogen (der für "großes" Wild). Für einen kurzen Moment lockerte mein Adler den Griff, vermutlich schmerzte die Zehe, und schon biss mich der Fuchs in den Adlerhandschuh, leider auch hindurch. Nachdem der Fuchs abgefangen war, kam ich erst mal wieder zu mir, und erschrak..! Der Fuchs war über und über von Räudemilben befallen. Ich darf gar nicht daran denken, was dieser arme Bursche hatte leiden müssen; ein absoluter Hegefall. Ich sicherte meinen Adler und lief zurück zur Volierenanlage um die "frohe Botschaft" zu verkünden. Leider war kein Mensch da, mit dem ich meine Freude hätte teilen können. Endlich kam Peter und zeigte unverhohlen seine Bewunderung. Zusammen verpackten wir den räudigen Fuchs und brachten ihn nach Cheb zur Kontrolle. Er hatte nicht nur Räude, sondern auch Tollwut; ich bekam 100 Kronen (damals ca.5 Mark) Prämie ! Da hatte sich die "Wilderei" doch mal richtig gelohnt. Vorsorglich ließ ich mich noch gegen Tollwut impfen.
Leider konnte ich meine für eine Jungfalknerin schon beachtliche Beute den anderen Falknern nicht körperlich präsentieren. So erzählte ich die Geschichte immer wieder, bis sie keiner mehr hören konnte.
Die Trainingswiese genügte mir nicht mehr um meinen Adler zu trainieren. Ich organisierte mir mit Hilfe meines Freundes Alfred, der Jäger war, eine Jagderlaubnis im Revier "Zelena Hora", der "Grüne Berg", ein ca. 2500 ha großes Revier, unmittelbar an der bayerischen Grenze gelegen. Von dort hätte ich eigentlich fast zu Fuß über die Grüne Grenze nach Hause laufen können. Der "Eiserne Vorhang" war noch nicht lange abgebaut worden und schon hatte sich die Natur den Grenzstreifen zurückgeholt. Hinter dem Grenzstreifen befand sich eine große Militärkaserne, die noch von fünf Soldaten der tschechoslowakischen Armee bewacht wurde. Alles war bereits rund herum mit Buschwerk verwuchert und dem Kasernengebäude sah man bereits den Verfall an. Ich hatte jetzt meine erste offizielle Jagderlaubnis.  Wenn ich in "Zelena Hora" meinen Adler flog, meldete ich mich bei den Soldaten an, damit diese wussten, dass im Grenzgebiet kein "Illegaler", sondern eine Falknerin mit dem Steinadler herumlief. Vorsorglich sagte ich auch noch dem deutschen Zoll und  Bundesgrenzschutz in Waldsassen Bescheid. Somit war auch die deutsche Seite "drüben" informiert. Ich kannte den Grenzverlauf auf ca. 10 km wie meine Westentasche.  Mein Vater, bayerischer Grenzpolizist i.R., hatte mich als Kind oft mit auf Streife genommen (mit Langlaufski ) und mir die Bedeutung der einzelnen Grenzsteine erklärt; das waren noch Zeiten !
Nun war ich mit meinem Adler immer auf der Jagd. Das Revier war völlig frei von Spaziergängern oder Freizeitsportlern. Gleich am ersten Tag in meinem "Königreich" flog Dino mit dem böhmischen Ostwind Richtung Westen über die Grenze und fing auf der Streuobstwiese eines Pechtnersreuther Bauern eine kleine schwarze Katze; das fing ja gut an! Da ich mich ja "hüben wie drüben" bewegen konnte, rannte ich also ohne Passkontrolle meinem Adler hinterher nach Deutschland und mit der Beute schnell wieder zurück in die Tschechoslowakei, was für eine Aufregung. Das Revier war riesig. Große lichte Waldgebiete und viele brach liegende Felder. Alles war schön verwildert, oft schulterhoch und ich konnte den ganzen Tag ungestört jagen. Meist ließ ich meinen Adler aufbaumen um dann die Brachflächen abzusuchen. Im Wald folgte mir Dino in ganz kurzen Abständen in den Baumwipfeln, so als wollte er sich auf keinen Fall etwas entgehen lassen und er ließ mich keine Sekunde aus den Augen. Immer suchte er sich sehr hohe Punkte aus um das Gelände zu überblicken; er stellte sich ungern auf den Boden. Wenn es sich nicht vermeiden ließ, musste ich mich sehr in Acht nehmen vor seinen zornigen Attacken. Als Wildfang bedeutete eine hohe Warte für ihn immer Sicherheit, während der Adler sich am Boden den Feinden ausgeliefert fühlt. Wenn ich ihn vom Baum herab auf die Faust holen wollte, musste ich einen langen spitzen Winkel wählen und mich vor den Wind stellen. Er flog den Handschuh immer in voller Fahrt an. War der Winkel zu steil, warf ich ein Küken auf den Boden und entfernte mich zügig, um ihn dann vom Boden auf die Faust fliegen zu lassen; der größte Schwung war damit abgefangen.
Anfang November, es war noch relativ warm, streifte ich wieder mit Dino auf der Faust durch das Grenzrevier, als er wieder diesen Blick bekam, der mir zweifelsfrei sagte, " aufpassen.., vor uns kommt etwas..".
Die Spannung konnte man regelrecht knistern hören und langsam ging ich weiter und suchte die Brache ab. Dino streckte sich so nach oben, dass seine Beine fast doppelt so lang wurden. Jetzt...., 50 Meter vor mir wurde irgendetwas flüchtig. Schon war Dino unterwegs,...steilte auf und flog einen Bogen, um dann vor dem Wind in das hohe Altgras zu stürzen.....kein Laut! So schnell ich konnte lief ich zum Adler, was war ich aufgeregt.
Langsam näherte ich mich meinem Adler und sah etwas Rotes unter seinen Schwingen leuchten. Ein Fuchs, ein Fuchs........, und was für Einer!  Dino hielt einen Fuchsrüden mit doppeltem Kopfgriff. Mein erster Gedanke war, schnell abfangen, damit meinem Freund nichts passieren kann. Ich hatte noch nie so einen wundervollen Fuchs gesehen. Richtig brandrot, mit schneeweißer Brust und herrlichem Balg. Meine Güte, was würden wohl meine Lehrmeister dazu sagen?! Immer schön mit der Ruhe. Ich deckte den Fuchs mit einer BW-Plane ab und atzte Dino mit einer großen Hasenkeule und unzähligen Küken auf, damit der Fuchsbalg nicht zerstört wurde. Diese Plane verwende ich heute noch, da man die Beute komplett abdecken kann und der Adler nach einigen Minuten völlig entspannt auf die Faust übertritt. Ohne Probleme nahm ich den Adler ab, wir waren schon ganz gut eingespielt.  Was für ein Tag ! Ich legte den Fuchs in meinen alten Opel neben die Adlerkiste und strich immer wieder bewundernd über das weiche, herrliche Fell und betrachtete sein schlaues Gesicht. Der Fuchs ist das schönste Wild für mich bis heute. Da ich niemand antraf in der Volierenanlage, hing ich meinen Prachtfuchs so an die Veranda, dass jeder Falkner der den Hof betrat, unmittelbar an ihm vorbei musste. Dieses Mal konnte ich meine Beute richtig präsentieren. Ich brachte  Dino zu seiner Flugdrahtanlage und stellte ihn auf den Sprenkel. Sein Kropf war so prall, dass er fast den Kopf nicht  mehr zur Seite bewegen konnte. Lange noch setzte ich mich zu ihm und ich hatte ein großes Gefühl der Verbundenheit mit diesem Adler während ich genüsslich ein Zigarettchen rauchte; der wilde Adler ist mein Gesell !
Während die meisten meiner Falknerfreunde sich ehrlich mit mir freuten, war es für Franzek schon ein harter "Bissen" dass die Anfängerin so kurz hintereinander zwei Füchse gefangen hatte. Sein Schnurrbart zuckte mehrmals nervös, als er meinen Fuchs betrachtete. Hasen zu fangen war, wenn es nicht zu viele wurden, auch weiblichen Falknern vergönnt, aber Fuchs und Reh, das war eine völlig andere Dimension, das war "Männersache". Die anfängliche Sympathie, die sich zwischen Franzek und mir entwickelt hatte, löste sich daraufhin in Luft auf; jetzt war ich zu einer ernst zu nehmenden Konkurrenz geworden. Um mich etwas unabhängiger zu machen, half mir Stenek dabei, noch einen Begehungsschein im Revier "Novi Kostel" (neues Schloss) zu bekommen. Dieses Revier lag zwar etwas weiter entfernt, war aber für meine Zwecke hervorragend geeignet. Große Brachflächen mit einzelstehenden Bäumen, Lichtungen im Bestand und keine Menschenseele weit und breit. Das Freizeitverhalten der tschechoslowakischen Bevölkerung war zu dieser Zeit ein völlig anderes als das der deutschen Grenzbewohner. Nach 40 Jahren Entbehrung, was westliche Konsumgüter betraf, setzte sich die ganze Familie am Wochenende in den Škoda und fuhr in die grenznahen deutschen Kleinstädte zum Einkaufen. Innerhalb von wenigen Tagen waren oft Fernseher, Elektrogeräte usw. völlig ausverkauft. Kein Mensch kam zu dieser Zeit auf die Idee, die freien Tage in der Natur zu verbringen.
Nun hatte ich zwei hervorragende Reviere um meinen Adler zu fliegen und oft war ich jetzt alleine unterwegs.
Bis in das neue Jahr hinein flog ich Dino und Ende Januar hingen drei Fuchsbälge an meinem Schrank, der "Räudige" nicht mitgerechnet.
Leider sollte die Zeit mit diesem Adler auch ein Ende haben. Davon erzähle ich im nächsten Tinnunculus "Lehrjahre mit dem Steinadler Teil 3".

Edith Voell-Günthner, LV Bayern

Zurück