Queenie träumt

 

Nach 37 Jahren praktischer Beizjagd hatte ich eigentlich alles erlebt, was ein Falknerherz höher schlagen lässt. Nur einen Traum hatte ich noch: Schottland.

 

Christian Saar wollte ihn mir erfüllen. Er lud mich 1993 ein, mit ihm und Steven Frank zusammen ganz im Norden Schottlands bei Strathy auf Moorhühner zu jagen. Ich flog zu dieser Zeit einen guten Anwarterterzel, den Bruder von Christians „Pip“.

 

Christian fuhr 14 Tage vor mir los, holte meinen Terzel bei Roger Upton ab, wo er zur Quarantäne stand, jagte ihn ein und beizte mit ihm die ersten Grouse. Es schien alles vorbereitet, um mir meinen Traum zu erfüllen.

 

Doch der Traum wurde zum Alptraum: Zwar begann alles optimal, denn schon am ersten Jagdtag beizte ich mit „Max“ mein erstes Grouse. Aber bereits am dritten Tag verlor ich ihn. Er kam auf tragische Weise in Schottland ums Leben. Ich war fix und fertig. Am liebsten wäre ich gleich wieder heimgefahren, doch Christian und Steven kümmerten sich rührend um mich. Sie versuchten alles, um mich wieder etwas aufzuheitern. Steven bot mir sogar an einen seiner Falken zu fliegen! So blieb ich in Schottland, erlebte herrliche Jagdtage, aber glücklich war ich nicht.

 

Selten kommt ein Unglück allein. Auf der Rückfahrt hatte ich eine Autopanne, 5 Tage Zwangsurlaub in Inverness bei -2 Grad. Das war frustrierend. Um die Zeit totzuschlagen, besuchte ich mindestens sechsmal das Naturkundemuseum, obgleich es dort kaum etwas zu sehen gab. Ich machte ausgedehnte Wanderungen in und um Inverness, ich ging sogar zu Fuß zu den immerhin 12 Kilometer entfernten Schlachtfeldern von Culloden, auf denen 1746 die Schotten eine vernichtende Niederlage gegen die Engländer erlitten hatten. Doch wie erwähnt, bei minus 2 Grad ist Inverness frustrierend. Als ich am Sonntagmorgen zähneklappernd am Hafen stand und aufs Meer schaute, wurde ich von einer Schottin mit der Bemerkung, ihr Bett zu Hause wäre sicherlich noch warm, zum Mitgehen eingeladen. Ich gestehe, die Versuchung war groß, obgleich die Schottinnen nicht gerade wegen ihrer Schönheit bekannt sind. Doch ich widerstand der Versuchung und wärmte mich stattdessen in einer Kirche auf. Dort konnte ich auch meinen verwerflichen Gedanken Abbitte leisten. Und siehe da, ich wurde erhört, denn nach dem Gottesdienst wurde ich mit den übrigen Besuchern zum Tee eingeladen. Danach war ich wieder einigermaßen aufgewärmt.

 

Nach fünf Tagen ging es endlich heim, zum Glück hatte ich die Fähre von Hull nach Rotterdam umbuchen können. Doch der Traum von Schottland war vorerst ausgeträumt.

 

Vier Jahre später: Anläßlich einer Geburtstagsfeier lud mich Gilles Nortier ein, im Herbst mit ihm nach Schottland zu gehen. Er bot mir an, dort einen seiner Falken zu fliegen, da ich meinen Terzel an Christian Saar für die Zucht gegeben hatte. Der Besatz an Rebhühnern und Fasanen war auch bei uns so drastisch zurückgegangen, dass an ein Bejagen nicht mehr zu denken war.

 

 

Zwar hatte ich mir geschworen: „nie wieder Schottland“, doch der Traum in einer einmaligen, fast unberührten Landschaft unbeschwert mit dem Falken jagen zu können, war stärker als der Frust, den ich noch immer verspürte.

 

Bereits am 9. August 97 fuhr ich mit Gilles und seinem Falken mit dem Auto los. Wir hatten drei Falken dabei: „Queenie“, seinen erfolgreichen Wanderfalken im 10. Flug, einen Spezialisten für Schottland, ferner „Sangria“, einen Berberfalken im 6. Flug und „Belinda“, einen Wanderfalken aus Südafrika (f.p.minor) im Jugendkleid. Am 9. August kamen wir am frühen Abend in Alvie an. Alvie liegt 5 Kilometer nördlich von Aviemore und ca. 45 Kilometer südlich von Inverness. Ich war sofort von der Schönheit der Landschaft überwältigt. Wir bezogen unser Cottage, welches mit allem Luxus ausgestattet war (Dusche, Spülmaschine, Waschmaschine usw.). Wir stellten die Falken zum Lüften und begannen sogleich mit der Installation der Recks in einem angebauten Schuppen. Gilles hatte alles zu Hause vorbereitet und so wurde die Unterbringung der Falken zu einem wahren Schmuckstück. Ferner ersetzten wir die Bilder im Cottage durch mitgebrachte Bilder mit Greifvogel- und Beizjagdmotiven. Sehr schnell fühlte ich mich deshalb so richtig wohl.

 

Am 10. August holten wir die vorbestellten zwei Pointer ab, denen wir ebenfalls eine kuschelige Unterkunft bereitet hatten. Außerdem zeigte mir Gilles „unser“ Revier und wir kauften den notwendigen Proviant für die kommenden Tage ein. Gilles hatte wirklich alles perfekt organisiert und nachdem wir am 11. August die Falken trainiert hatten, warteten wir auf den “glorious 12th august“, den Aufgang der Grouse-Jagd. Bereits an diesem ersten Tag konnte ich mit „Queenie“ in zwei Flügen zwei starke Moorhühner beizen. Um es vorwegzunehmen, Fehlflüge hatte dieser Falke während meiner 9 Jagdtage keinen einzigen. „Sangria“ schlug am 13. das erste Huhn und „Belinda“ zu unserer Freude schon am 14. August.

 

Der Wildbesatz in diesen gepflegten Mooren war sehr gut und so erlebten wir traumhafte Jagdtage und leben wie „Gott in Frankreich“. Von den gebeizten Moorhühnern aßen wir nur die ausgelösten Brustfilets in einer Rahmsoße mit frischen, selbst gesammelten Pilzen. Dazu gab es natürlich reichlich vorzüglichen französischen Rotwein. Die Jagdflüge unserer Falken werden mir unvergessen bleiben, vor allem war es ein Genuss Gilles beim Falknern zuzusehen. Völlig ohne Hektik machte er immer das Richtige, kein Wunder also, dass seine Falken in Schottland so erfolgreich waren. Ich habe viel von ihm gelernt, aber auch bei einem Besuch der italienischen Falknerfreunde Umberto Caproni, Ferrante Patresi und Fulco Tosti. Sie „zelebrierten“ bei stürmischem Wetter Falknerei in Vollendung. Nach jedem erfolgreichen Flug wurden die Falken sofort aufgeatzt und es gab fast nur erfolgreiche Flüge. Ich war beeindruckt.

 

Da ich nur 14 Tage Zeit hatte, kam mein letzter Beiztag allzu schnell. Ich hatte Glück, das Wetter war nochmals herrlich. So hatten in kurzer Zeit alle Falken Beute gemacht, auch „Belinda“, die von Tag zu Tag besser wurde. „Queenie“ hatte wieder mal aus einem mäßigen Flug in einer langen Parforcejagd Erfolg. „Sangria“ dagegen war in der Thermik himmelhoch gestiegen und hatte aus dem Schweimen heraus in einem tollen Stoß ein Grouse geschlagen. Wie schon öfter machte sie auf der Beute ganz schmale Augen, wie wenn sie in zu tiefer Kondition oder krank wäre. Gilles klärte mich zum wiederholten Male auf, dass sie beim Schweimen wieder geträumt habe. Deshalb die zusammengekniffenen Augen. Aus Höflichkeit wollte ich nicht widersprechen. Ich wusste, dass Gilles in seiner Perfektion auch versuchte sich in die Psyche seiner Falken zu versetzen.

 

Auch Gilles träumt...

 

Obgleich es noch relativ früh war, wollten wir nach drei erfolgreichen Flügen aufhören. Doch auf der Rückfahrt meinte Gilles, ich solle „Queenie“ noch einmal fliegen, nur so zum Spaß. Die Thermik sei gut und so könne sich der Falke auch einmal ausfliegen. Ich ließ „Queenie“ frei und sie stellte sich wie gewohnt sofort über uns ein, in der Hoffnung, wir würden ihr nochmals eine Chance bieten. Zu gerne hätte ich die Hunde vorgeschickt, doch Gilles winkte ab. Plötzlich ließ sich der Falke weit abtreiben. Ich verstand Gilles nicht mehr, der mich dauernd ermahnte ruhig zu bleiben. Dann hatte „Queenie“ einen „Aufzug“ gefunden: Ohne Flügelschlag stieg sie immer höher. Es kam, wie es kommen musste, sie verschwand mir aus dem Fernglas.

 

Der Angstschweiß bricht mir aus. Gilles dagegen zündet sich genußvoll eine Zigarette an: „Sie kommt schon wieder“. Plötzlich sehe ich zwei Punkte am Himmel, ohne Zweifel zwei Falken, doch schon bald entschwinden sie wieder. Gilles ist scheinbar immer noch ruhig. „Jetzt hat „Queenie“ endlich auch einmal Gelegenheit zu träumen“. Ich kann Gilles beim besten Willen nicht mehr verstehen. Da taucht plötzlich wieder ein Falke als kleiner Punkt am Himmel auf. Hoffentlich ist es „Queenie“. „Mach die Hunde frei“, meint Gilles. Nach kurzer Suche stehen beide Hunde vor. Ich will zum Federspiel greifen, um den Falken aufmerksam zu machen. „Lass den Unsinn!“, ruft mir Gilles zu. Er hat Recht, wie an einer Schnur gezogen kommt der Punkt, der hoffentlich „Queenie“ ist, immer näher. Dann ist der Falke über uns. „Voran“, treibe ich die Hunde an, meine Stimme überschlägt sich. Ein alter Hahn steht vor uns auf. Mir scheint es endlos zu dauern, bis der Falke in einem irren Stoß vom Himmel kommt, doch dann zischt und pfeift es über uns. „Queenie“ unterfliegt den Hahn, bindet ihn sicher und trägt ihn über eine tiefe Schlucht. Ich renne los, stolpere in die Schlucht hinunter, rappele mich wieder auf und keuche auf der anderen Seite wieder hoch. 100 Meter vor mir steht der Falke in der Abendsonne auf einer Kuppe. Ich renne weiter. Endlich bin ich bei ihm. Der Hahn ist schon längst verendet, doch „Queenie“ steht regungslos auf ihm. Sie rupft nicht einmal. Ihre Augen sind ganz schmal – sie träumt. Ich lege mich neben sie ins weiche Moos, genieße das Erlebte und träume mit.

 

Auf dem Höhenweg sehe ich Gilles mit dem Auto kommen. Erst als er bei mir ist, entspannt sich der Falke und fängt an zu rupfen. Gilles lächelt mich an und wir nehmen uns wortlos in die Arme.

 

Wie nach jedem Jagdtag dasselbe Ritual: Wir versorgen die Falken und die Hunde, dann setzen wir uns ins Kaminzimmer. Ich habe wie immer Toasts vorbereitet, mit schottischem Hartkäse und Kräutersalz überbacken. Natürlich trinken wir unseren Lieblingswhisky, einen 16 Jahre alten „Lagavulin“. Es bleibt heute nicht bei einem Glas. Langsam beginnen auch meine Augen schmal zu werden und ich fange an zu träumen....

 

Hubert Breig

LV Baden-Württemberg

 

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